varietate fortunae: Über-Fahrt

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Ich hatte es vorher geträumt. Meine Hand wurde mir weggeschnitten, an der etwas sehr Wertvolles hing, und als ich mich zur Wehr setzte, wurde mir auch mein Herz herausgerissen, das durch einen feinen Draht mit meinem Handgelenk verbunden gewesen war. An mehr kann ich mich nicht erinnern, auch wenn der Traum Nacht für Nacht wiederkam. Wieder, wochenlang immer wieder. Die Hand weg, es bereitete absolut keine Schmerzen, doch umso mehr Entsetzen. Und ein grinsender Autofahrer, den ich durch die Scheibe nicht erkannte. Dann die Herzentreissung. Auch diese ohne Schmerzen, wie unter Narkose. Ein lebloses Ich überlebte und schaute entsetzt zurück.

Eines Morgens wusste ich: heute wird es geschehen. Ich wusste nicht genau was. Hoffte, dass uns nichts trennen werde, Wolfgang, mich und unser Bübchen Roland. Und wusste doch allzu gut, dass ich das Unabwendbare nicht abwenden konnte.

Es war sehr früh im Jahr, Anfangs März, nein, nicht Anfangs März, wieso versuch ich ungenau zu sein, wenn ich es doch genau weiss, der vierzehnte war es, der vierzehnte März neunzehn-hundert-siebenundsechzig, ein strahlender Frühlingstag, würde es jetzt in kitschigen Romanen heissen, aber das war es nicht, bewölkt und regnerisch, auch wettermässig ein ganz normaler Zürcher Tag, nicht besonders warm, ich zog Roland eine fast neue Jacke an, rostbraun, jetzt, wo ich schreibe, sehe ich sie wieder vor mir, diese kaum getragene Jacke mit ihren grossen Holzknöpfen, und wie sie danach aussah. Seltsam. Lange habe ich die Details nicht mehr vor mir gesehen, und nun, plötzlich, als sei alles erst gestern gewesen. Und noch immer bin ich všllig gefühlslos.

Ich brachte Roland zu seiner Tagesmutter, am Morgen, vor der Arbeit, halb verschlafen waren wir noch beide, fuhren in den Kreis vier, eine Italienerin mit zwei Knaben um Rolands Alter herum. Mit ihnen spielte Roland gerne "Ritter und cavalliere", wobei der älteste Junge gerne den Burgherrn spielte und der andere je nach Bedarf zwischen jagdbegleitenden Knappen, Minnesänger und Burgfräulein fluktuierte. Roland war natürlich der stolze Ritter, der dem Burgherrn böse Räuber brachte oder Ungeheuer aus dessen Landen vertrieb. Manchmal erzählte mir die Tagesmutter mit Lachtränen in den Augen die neusten Varianten des Spiels.

 

 

Nein, unser Bübchen Roland blies den Olifanten nicht. Er wurde im hellen Tageslicht in der belebten Stadt Zürich überfahren von einem in meiner Vergangenheit nicht gelösten Rätsel, und weder Hilfe noch Rache war möglich. Er hinterliess das Nichts.

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