varietate fortunae: Wolfgang Friedemann?

Bitte Kapitel wählen!


zur Übersicht varietate fortunae


Andreas
Ball
Trennung
Stelle
Tief
Turm,Brunnen
Kartentraum
Wolfgang
Schweigen
Kind
Dossier
Baumgruppe
Über-Fahrt
Schluss jetzt

Friedemann?
Ende


zur Rinaku-Seite

"Was für eine herzlose, gefühlskalte Frau du bist!" hatte Flora ausgerufen, als ich ihr zum ersten Mal von Wolfgang und mir erzählt hatte. Den armen Wolfgang so stiefmütterlich zu behandeln. Ich hätte ihm ja gar keine Chance gegeben. Nur von seinem Aussenseitertum, von seiner Einsamkeit und Verfügbarkeit profitiert.

Hab ich das? Frage ich mich, und wieder stehe ich auf einer Brücke und schaue ins vorbeiziehende Wasser der Limmat, diesmal braust hinter und über mir der Verkehr des Escher Wyss Platzes vorbei. Hatte ich Wolfgang überhaupt jemals wirklich bemerkt? Nahe waren wir uns gewesen, das stimmt, romantisch nahe. Aber nie so nahe, dass er auch schmerzhaft, spürbar gewesen war. Allerdings auch nie so nahe, dass er mich gestört hätte. Er war einfach da, "es" war einfach da. Nichts zum Kämpfen und Streiten, einfach etwas zum Haben und Geniessen.

Weshalb hatte ich mich dann von ihm getrennt? Hatte ich Besseres gesucht? Nein. Schwierigeres? Hatte ich etwas zum dafür-Kämpfen gesucht? Nein. Nein, nichts anderes hatte ich gesucht. Einfach beenden wollte ich. Ich hatte es nicht als falsch empfunden. Gemeinsames Leid verbindet nicht immer, bei uns trennte es. Ich konnte nicht mehr. Wollte es loshaben. Natürlich, ich hatte nur an mich gedacht. An mein Leben, das irgendwann nur noch aus Durcheinander, aus einem Gestrüpp negativer Faktoren bestanden hatte. Ich hatte keinen anderen Weg mehr gesehen, als das Rankenwerk als Ganzes zu stutzen und am Boden, bei mir selbst, neu zu beginnen. Luft haben. Ordnung haben. Vielleicht auch, unter dem Gestrüpp den eigenen Weg wieder finden. Oder Selbstwert. Was weiss ich.

"Was ist aus ihm geworden? Hat er's überlebt? Ist er an der Trenung zerbrochen?" hatte Flora weitergbohrt. Zerbrochen? Wie sie auf diese Idee komme? Fragte ich scheinheilig zurück. Ich hätte nie einen Gedanken in diese Richtung gehabt. Hätte ihn bald darauf aus den Augen verloren, antwortete ich, um ehrlich zu sein, hätte ich gar nicht mehr an ihn gedacht. Die Lebensphase mit ihm sei vorbei gewesen. So schmerzlos und unspürbar-unspektakulär unsere Beziehung begonnen habe, so selbstverständlich der Anfang gewesen sei, genauso habe sie geendet.

Natürlich, gab ich vor, jetzt erinnere ich mich, er hätte ein paarmal geschrieben, ich gab vor, mich nicht einmal zu erinnern, ob ich geantwortet hätte. Vielleicht ja, vielleicht nein, vielleicht hätte ich gar nicht gewusst was. Ja, wahrscheinlich das. Was gab es schon zu sagen. Ob ich deshalb grausam und kalt sei? Ob ich es damals war? Ob ich es noch sei? Flora versuchte mich in die Enge zu treiben, mich zu einer Einsicht zu bringen, mein Gewissen zu erforschen, ich blieb bei meiner Variante. Ich denke nicht darüber nach. Wolfgang sei ein Ausweg aus einem lähmenden Leidensweg gewesen und hätte in eine Sackgasse geführt, die ich hatte verlassen müssen. Nicht mehr.

Ruhig zieht die Limmat zwischen durch die Stadt. Ein stilles, schattiges Gewässer in all dem Hin und Her und Kreuz und Quer des Verkehrsgebtauses. Ihr kann ich es erzählen, sie versteht vielleicht.

Nein, Wolfgang hatte es nicht überlebt. Ich hatte ihn nach einem abendfüllenden Gespräch tatsächlich verlassen ohne zurückzublicken. Er hatte sehr verständnisvoll und nüchtern gewirkt an jenem Abend. Vielleicht hatte er die Konsequenzen erst später begriffen. Eine Weile lang hatte ich auf Rolands Grab Spuren von ihm gesehen, doch nach dem Winter nicht mehr. Auf Umwegen hatte ich im Jahr darauf erfahren, dass er sich erhängt hatte. Ich hatte auf dem Friedhof sein Grab gesucht und nach ein paar Monaten endlich gefunden: schon von weitem war erkennbar, dass es sich um seines handeln musste: in Kreuzform wuchsen darauf lila Hyazinthen - umgeben von Rosenstöcken. Später hatte ich gesehen, mit weissen Rosen. So hatte er es ausdrücklich gewünscht, hatte mir der nachdenkliche Friedhofsgärtner gesagt und mich mit einem nachdenklichen Blick festgehalten. Seine Geliebte werde die Anwornung zu deuten wissen, sei im Testament gestanden. Seine anderen Wünsche, mich zu verständigen, und ihn so nahe wie möglich zu seinem Sohn zu legen, hatten seine Eltern abgeschlagen. Leicht zu erraten, wieso. Das Bild der bienenumsummten Blüten verfolgte mich noch eine Weile. Sein Sohn lag fern von ihm, und als ich mich endlich aufraffte, auch dort Hyazinthen anzupflanzen, war deren Blütezeit bereits vorbei.

Weisse Rosen und Hyazinthen. Jemand, der an Herzeleid gestorben ist.

"Warst Du denn nicht glücklich mit ihm?" Flora schien wirklich entsetzt zu sein.
"Glücklich? Mit wem?"
"Mit Wolfgang natürlich, mit wem sonst?"
Was Leute wie Flora doch ewig nach Glück suchen. Schwierig, ihnen etwas zu erklären.
"Mit Wolfgang? Wieso denn? Darum ging's doch gar nie. Wolfgang war ein Versuch."
"Versuch? Wieviele Jahre warst du denn mit ihm zusammen?"
"Weiss nicht. Drei? Vier? Nein, warte, es müssen mehr gewesen sein. Ach was, ich weiss nicht, so um die sieben."
"Sieben Jahre, und das nennst du einen Versuch?"
Es gab einfach Dinge, die Flora nicht verstand. Wieso ich begonnen habe, ihr davon zu erzählen, weiss ich nicht. Etwas erklären, das nicht zu erklären war. Es ging in meinem Leben tatsächlich nie um Wolfgang. Auch in jenen Jahren nicht. Es war zu einfach gewesen mit ihm, es hatte sich zu reibungslos ergeben und mein Leben war längst anderwertig verflochten.

Ja vielleicht. Vielleicht hatte allein die Tatsache, dass die Liebe erwidert und erfüllt gewesen war, die Liebe selbst langweilig und wertlos gemacht. Vielleicht war von Anfang an alles zu selbstverständlich gewesen. Vielleicht hatte ich ihm wirklich keine Chance gegeben.

Ich mag mich an ein paar Szenen erinnern, als er mit Roland spielte und ich, wie von aussen zuschaute. Wie süss er spielt. Wie gut sie sich verstehen. Wie gut er sich mit meinem Kind versteht. Selbstverständlich war es mir nie vorgekommen. Dass es auch sein Kind war, war mir nicht in den Sinn gekommen.

Irgendwie war er mir immer fremd gewesen. Obwohl wir sexuell eine sehr schöne Zeit gehabt hatten, auch am Schluss noch, sehr verspielt, sehr vielseitig, er mit seinen Samthänden, mit seiner ganzen Samthaut, mit seiner Sinnlichkeit, mit seinem Verlangen, mich zu verwöhnen und auch mit seiner Bereitschaft, verwöhnt zu werden. Sexuell waren wir von Anfang bis Ende sehr harmonisch gewesen. Aber verbunden nie. Ich hatte nie das Gefühl gehabt, den Mann meines Lebens gefunden zu haben. Und wenn mich jemand nach meinem Mann fragte, wusste ich spontan nicht, wer gemeint war. "Mein Mann? Ach so, du meinst Wolfgang?" Peinlich war das manchmal schon gewesen.

An den Kapitelanfang