varietate fortunae: Die Baumgruppe

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Seit er nicht mehr da ist, gehe ich alleine spazieren. Nicht mehr so hastig, nicht mehr ständig zum mich-Beeilen angespornt, nicht mehr so zielstrebig, zielorientiert, nicht mehr um jeden Preis einen Rundgang beenden, da es tabu sei, denselben Weg zurückzugehen, auf dem man gekommen sei. Zielloser gehe ich, streife ich, ein wenig wie eine Katze mich an Schmetterlingen und sonstigen Kleinheiten vom Weg abbringen lassend und irgendwie später wieder in ihn einmündend. Oder auch nicht. Manchmal setze ich mich auch und schaue nur, stundenlang. Manchmal fahre ich per Tram in die Stadt hinein, schreite meine alten Wege ab, erinnere mich und entdecke Neues, denke mal viel, mal wenig.

Wo es mich oft hinzieht, ist eine kleine Baumgruppe unweit unseres Altersheims. Eine Buche, eine Linde, eine Fichte und zu ihren Füssen ein buschiger Haselstrauch. Ich kenne sie seit vielen Jahren, fast bin ich versucht, zu sagen, seit ihrer Jugendzeit, doch das ist übertrieben. Sie waren schon mehr als mannshoch, als ich zum ersten Mal auf sie stiess.

Die Baumgruppe steht für sich allein in einem Pärkchen. Eine Bank vom Verkehrsverein lädt zur Beschauung und Betrachtung ein. Auf ihr sitze ich oft und lasse meine Gedanken baumeln. Über Andreas und mich, über die Stadt, über das Wetter, das Leben.

Auch über die Baumgruppe selbst. Im Frühling wächst sie zusammen, im Sommer werden die Freunde zu Konkurrenten, ringen sich gegenseitig jedes bisschen Licht ab, neiden einander, was sie sich nicht abringen können, hassen sich. In Herbststürmen beugen sie sich gemeinsam, wetteifern um bunte Farben, beugen sich wieder und wieder, leisten gemeinsam dem Luft Widerstand, der ihnen Laub und Nadeln entreisst, stehen im Winter frierend und nackt da, wollen näher zueinander, suchen den Schutz der Gemeinschaft, können nicht näher, frieren einzeln, erhalten jeder für sich einen Pelzmantel aus Schnee und Schmuck aus Eis, bilden glitzernd eine romantische Fassade edelsteinreicher Aristokraten, schwören sich für den nächsten Frühling mehr Nähe, mehr Gemeinschaft, mehr Füreinander, strecken in der Frühlingssonne zaghaft Blüten und Grün hervor, wachsen zusammen, bilden auch neue Äste, um sich besser zu verflechten, als Absicherung für den nächsten Herbst und Winter, um sich dann mit wachsenden Blattflächen jedoch wieder ums Licht streiten und neiden zu können.

Ein ewiger Kreislauf.

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