Kurzgeschichten aus Israel

Amalia Kahana-Karmon: Neïma Sasson schreibt Gedichte

Amalia Kahana-Karmon versucht in dieser Geschichte, die Sprache des "unfertigen" jungen Mädchens wiederzugeben, das sein Hebräisch offensichtlich nicht als Muttersprache gelernt und zudem gewiss eine stark religiös geprägte Schule besucht hat, deren Weisheiten ihm in seiner aktuellen schwierigen Situation keine Hilfe sind. Bitte nicht irritieren lassen durch all die Ekklektizismen, sinnlosen Bilder und weit hergeholten Vergleiche - Neïmas Entwicklung ist noch nicht "fertig". (Das Übersetzen war oft extrem schwierig)


Wüssten die Tränen, wer sie vergossen
Wüssten die Herzen, wer sie gepflügt
Gepflügt dringt von ihrem Licht durch die Erdschollen
Und die Schollen wissen nicht, was in ihnen steckt. (Rb Jehuda haLevi)

Unser Lehrer, Herr Havdala sagte unter anderem: "Unsere Schülerin Neïma Sasson hat uns sehr erfreut mit ihrem hübschen Gedicht 'für meinen werten Lehrer', das am Anfang des neuen Blattes der Wandzeitung unserer Schule erscheinen wird." Unsere ganze Schule 'OhelSarah' wird das Gedicht lesen.

Wir stiegen schweigend zu den Klassen hinauf. Ich ging am Lehrer Yechezkiel vorbei, der bei der Rektorin stand. Ich wusste nicht, worüber sie sprachen. Ich hörte ihn mit seiner einzigartigen Stimme sagen, mit seiner lebenswichtigen und dennoch rauhen Stimme, wie die Stimme von Louis Armstrong, "das ist einfach zu bewerkstelligen." sie antwortete: "so scheint es dir!" Und er antwortete: "was willst du, das ich mache, dass ich auf einem Bein springe?" und sie gab zurück: "Wer sagt das!" Ich hörte, dass sie so über ihn sprachen, und es zerriss mich.

Der Lehrer Yechezkiel war unser Erzieher. Wir lernten: kein Mensch soll sich unter Weinenden freuen, unter Fröhlichen weinen, wach sein unter Schläfern oder schlafen unter Wachen usf., doch der Lehrer Yechezkiel sass den ganzen Tag am Pult auf dem Podest des Katheders vor der Wandtafel und hob seine Augen nicht von seinen Blättern, Büchern und Tagesnotizen. Mittagspause. Ungefähr einen Moment wie Träumende - zufällig, kann es wirklich Zufall sein, Zerstreutheit, kann es wirklich Zerstreutheit sein, wieder schenkte er mir einen Moment lang Aufmerksamkeit: seine grünen Augen ruhten auf mir. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Trat näher. Die Sonne schien durch das Fenster. Ich war im neuen Sommerkleid, in das ich Hoffnung gesetzt hatte. Der Lehrer Yechezkiel sass schon bewegungslos da. Als versuchte er, den Verdruss durch Geduld zu ersetzen, als warte er auf einen schweren Schlag - sagte ich zu mir und wusste wieder, dass alles verloren war. Ich ging an ihm vorbei ohne anzuhalten. Ich warf die Kerne der blauen Pflaumen in den Papierkorb und der Lehrer Yechezkiel dort an seinem Platz zog ein Sandwich aus seiner Hülle und begann Essen (sic). Ich sah durch ihn hindurch, wie ein prächtiger Jüngling mit seinem von Willen geschwächten Ausdruck, wie ein Prinz aus einem Ballett, mit einem Profil von Eibur Novello, und ich wusste, doch nicht sie, sondern du bist ein harter Mann, aber von ausserordentlicher Zartheit. Und ich bin ein umherziehendes Mädchen. Das ganze Jahr krank. Aus (eigenem) Entschluss war ich von Blindheit geschlagen, d.h. mit einer Art Schnupfen. Schnupfen mit hohem Fieber. Ich wollte mich nicht behandeln lassen. Und wieder hatte ich keinen Beschluss in der Hand, Wieder keine Freude. Keine Freude. Keine Weisheit. Keine Weisheit.

Und fuhr deinetwegen jeden Tag im falschen Autobus.

Zweimal war kein Platz zum Sitzen ausser neben ihm. Ich setzte mich neben ihn. An der ersten Station stand er auf, wies seinen Platz einer nicht (mehr ganz) jungen Dame. Doch die Haut ihrer Brust und ihre faltenreichen Arme weckte Bewunderung mit ihrer Bräune. Sie setzte sich. Öffnete ihre Tasche. Zog ein Päckchen Zigaretten heraus. Entzündete wie ein Mann Feuer mit einem Streichholz, von den schlechten Streichhölzern, die sich beim Entbrennen befreunden, aufflammen und ihre Funken zurückkehrend ein Loch in deine Hosenbeine brennen. Doch seither, wann immer ich sie seh, kein Aug von ihr lassen ich kann. Um die Szene zu beleben, noch einmal:

Ich drehte meinen Kopf zu ihm. Der Lehrer Yechezkiel stand, festgehalten am Lederriemen, der von der horizontalen Stange an der Decke herunterhing. Die Leute sahen: Gesichtszüge des schwärzlichen Mondes. Die Augen heller als die Gesichtshaut. Die Menschen vermochten sich nicht vorzustellen, welche Kräfte in diesem Jüngling eingeschlossen waren. Er, der wie ein Boxchampion war, verbot sich selbst, einer Fliege etwas zuleide zu tun. "Ich halte deine Mappe fest", versuchte ich stammelnd vorzuschlagen. Der Lehrer Yechezkiel stellte die Mappe auf den Boden zwischen seine Schuhe. Er stand aufrecht über mir und die Luft zwischen uns bebte.

Und das zweite Mal. In jenen Tagen sprach er schon nicht mehr mit mir. Vor uns sass Herr Havdala, den die Mädchen hinter seinem Rücken Herr Abdalla nannten. Und was mich betrifft, nenne ich den alten Hillel "Fürst Israels, dessen Gestalt und Figur ich mit meinem geistigen Auge sehen will". Neben Herr Havdala las ein Mann gebückt, als ob er sitzend schliefe, in der Zeitung, die vor ihm lag. Herr Havdala wandte sich zu mir, spielte den angesehenen Mann und plauderte während des ganzen Weges mit mir: "Gut, dass du gelockt bist", sagte er, "so musst du dich nicht kämmen." Und danach: "Was tust du bei deiner Heimkehr?" - "Nichts, ich lese." - "Du liest. Was liest du?" - "Nichts. In Vaters Büchern." - "Was gibt es Neues von deinem Vater?" - "Nichts. Er ist krank." - "Und wie wird es enden?" - "Nichts. Wir verkaufen das Geschäft." - "Und was sind deine Pläne, kleine Dame?" - "Ich werde studieren." Während des ganzen Gesprächs schaute der Lehrer Yechezkiel durchs Fenster nach draussen. An seiner Station fasste ich Mut, schritt zur Tat: ich stand auf und stieg aus. Der Lehrer Yechezkiel blieb sitzen und stieg nicht aus.

Ich stand auf dem Gehsteig und sah Herrn Havdala gähnen, und wie er gähnte, sah sein Gesicht wieder aus, als sei er ein Baby. Der schlafende Mann schlief weiter im Sitzen, während der Lehrer Yechezkiel schon nicht mehr nach draussen blickte. Er fuhr bis zur nächsten Station, sicher hoffte er jetzt wirklich nach Hause zu fahren, ich versuchte mich vergeblich mit der Hoffnung zu erheitern. Und ich dachte: er wird heimkehren. Bequeme Kleider anziehen. Haussandalen. Seine Frau wird auf dem Stuhl am Fenster sein. Es kommt vor, dass ich dort vorüberging und sie sah: sie war älter als er. Sie hatte einen Hund. Sie war klein, zart, mit rosa gemaltem Mund. Nur ihr Hals war alt, sie sass und schaute auf die Strasse. Die Hälfte des Fensters war sie, die andere Hälfte der Vorhang. Mit dem komplizierten Spitzenmuster, in dem man, wenn man genau hinschaute, zwischen den Netzen und Amphoren auch die Figuren von wie Fledermäuse hin und herfliegenden Vögeln erkennen konnte, oder stehende Paradiesvögel. Und unter ihrer Wohnung war eine Werkstätte für Stickerei, Gobelin und Plissierarbeiten. Einmal sah ich sie aus einem Schuhgeschäft kommen. An ihrer Brust war ein Kunstwerk, in das ein Bild eingeflochten war. Das Bild des Lehrers Yechezkiel? Das Bild des Hundes? Jetzt stand sie einfach so von ihrem Stuhl auf, sie würde sich zur Begrüssung des Lehrers Yechezkiel das Kunstwerk umbinden. Nur der Vorhang würde bleiben.

Und ich stand dort. Der Spiegelhimmel leuchtete über der Stadt wie eine Wasserpfütze. Heller als alle Stunden des Tages. Der Zionsplatz war wie der Grund eines stillen und klaren Wassers ohne seinesgleichen. Bürger, Soldaten. An der Oberfläche der Stunde Mich'al schossen die fröhlich blitzenden Lichter der Werbung (dahin): bist du gut nach Hause gekommen, Lehrer Yechezkiel? Du hast es verdient, dass du dir auf dem Weg das Bein brichst, Lehrer Yechezkiel. Mögen die Farben der Ampeln fortdauern. Nur die Karosserien der Fahrzeuge, die an den Lichtern vorbeizogen, wie verschiedenfarbige Edelsteine. Unnatürlichkeit. Wie kann tagsüber eine solche Hektik sein. Nur ich, schwer ist das Meer, das auf meinem Herzen lastet, das in meiner Kehle würgt: "bist du müde, Neïma Sasson?", sagte er einmal zu mir, "eine so grosse Anzahl Fehler in einer einzigen Rechenaufgabe?" - "Juli, nach dem Namen Julius Caesar." - Alle Bedeutungen dieser Welt lagen in seiner wunderbar gebrochenen Stimme, in seinem Blick. Mit der eindringlichen Bitte und mit dem Flehen, hoffnungslos. Dass auch er dazugehöre. Ausgerechnet er, wieder wusste ich nicht, ob sie aufstand. Jetzt wollte ich nur noch das wissen.

Frauen fuhren in Privatautos, sie hatten eine schöne Mundpartie, einen sauberen Hals. Alle von strenger Anmut, egoistisch und vollkommen. Ein grosses Auto der Botschaft mit einem Fahrer in Uniform fuhr vorbei, beförderte darin nur ein einzelnes Kind. Und die Lichter beim Platz oben in der BenYehudaStrasse, in der Fortsetzung der Jaffostrasse, Version Metropolis, die Bänder des Meeres, die nie waren und nie erschaffen werden, glänzten zur Zeit der Dämmerung siebenfach, in goldenen Strömen, Fackeln und Kidudim von fremdem Rot, vor Freude von Meduche, eingerollt in Erfolg und Geld, schmelzen sie zu einem roten und kräftigorangem Strom von Schwefel oder Golderz, leuchtend grün, Farbe von Saphiren, wie das schreckliche Eis, blau und dunkelultramarinblau, die Fortsetzung des Buches über den Ezuz der roten, grünen und blauen Welten, für die es nichts gibt ausser, einen Weg zu ihnen zu finden. Und vielleicht ist all dies nicht ernst, nur um das Leben der kurzen Stunde des naiven sterbenden Perlenbandes zu betonen. Er, wie ein Blatt glänzte er. Mit Farbadern auf dünnen Linien wirft man erst, er sinkt eine lange Zeit wie ein Schmetterling. Der Abend, wie es seit da nie wieder ein Beispiel des Aufstiegs der Lauterkeit, der Reinheit, des reinen Klangs gab.

Der Teufelskreis: ich schritt zur Tat, die Bereitschaft als Geschenk. Ein Geschenk, das man nicht wollte. Warum macht man mir nie Vorwürfe über mein Vergehen? Vielleicht findet er die Worte noch nicht. Vielleicht die natürliche Hemmung: wer bist du, was bist du, dass du hier andern Lektionen erteilst. Vielleicht Mutlosigkeit: die Hoffnung, dass sich alles von selbst regeln wird. Vielleicht hat er kein Herz, mir dies anzutun. Vielleicht denkt er an sich selbst und fürchtet, mich zu verlieren. Doch tief im Innern wusste ich: keine davon. Es gibt Menschen, die unbeabsichtigt Fackeln sind, die den Weg zeigen.

Nach jenem Abend sah er zu, dass er nicht neben mir sitzen musste. Ich fragte mich nicht. Er blickte mich nicht an. Was blieb ihm sonst, mich vom Leibe zu halten, fragte ich mich.

Und schon war Jahresende. Die letzten Tage. Die Tage wurden schwach wie Winterfliegen, die man im Flug berühren kann. Der übliche Lärm der Mädchenmenge. Die Blätter auf den Schreibtischen, die sich mit dem Geräusch eines Schlags hoben, senkten. Bankreihen bewegten sich. Doch in der Luft war langsames Gift, als wären die Wände mit Zrinach eingeschmiert. Und die übliche Eintönigkeit. Ein Körnchen Neues darin. Amonjakschwaden breiteten sich mehr und mehr aus: die letzten Tage. Irgend etwas wurde schwächer. Und die Mädchen waren plötzlich erwachsen in den kindischen blauen Schürzenkleidern, schrieben einander in die Poesiealben, gingen gemeinsam zu den Schlussprüfungen, die uns noch erwarteten. Sie versammelten sich an den Freitagabenden bei der einen oder andern und gingen zusammen spazieren, umarmten sich und spannen miteinander in voller Lautstärke Träume von der Zukunft.

All das berührte mich nicht. Ich lauerte. All meine Abende reservierte ich für den Lehrer Yechezkiel. Ich sass am Eisentisch auf der hinteren Veranda im Haus meiner Eltern. In der Nacht war das Eukalyptuslaub wie Blechblätter. Mit dem trockenen Wohlgeruch brach die Kiefer vom unbestimmt parfümierten angebauten Nachbarhof zu uns herüber und weckte leckerbissenartig den kühlen Geschmack. Hinter dem aufsteigenden Mäuerchen aus Steinen und Felsen. Laue Nächte. Im Quartier auf der Bergschulter jenseits des Wadis bellten Hunde. Ihre Lichter stachen wie Löcher, um zu Gunsten des Feuers unter die dünne Erdoberfläche zu lugen. Der Lehrer Yechezkiel kam nicht. Nie kam er. Ich trat ans Mäuerchen. Zwischen Himmel und Erde begann ein neuer Lehrer Yechezkiel aufzusteigen. Voller Augen, eingehüllt in ein flammendes Kleid. Und jede Nacht, beim Zusammenspiel der furchtbaren Buchstaben, die auf die Krone auf seiner Stirn geschrieben waren, verlor mein Herz seine Gültigkeit, ich wusste, dass Beruhigung kam und freute mich, als wäre ich ohnmächtig aufs Gesicht gefallen. Der Lehrer Yechezkiel verschwand hinter dem Vorhang im Himmel. Er gelangte an den Ort, wo der Preis das Brot der Verstorbenen war, Kummer ihr Wasser. Ströme von Qual, Armut und Sorge, die darauf dahinzogen, an zehntausende grosse Blätter, Grenzen. All dies schreibe ich, Neïma Sasson, in mein Gedichtheft, aus dem ich das Gedicht 'mein werter Lehrer' an die Schulzeitung schickte.

Doch tagsüber, schmachtend, war es, als ob ich den ganzen Tag mit mir selbst murmelte. Und den ganzen Tag stand er fern. Jetzt war er der Lehrer Yechezkiel aus Fleisch und Blut. Dort an seinem Platz. Wie ein Traum: er kam, setzte sich. Mit dem Glockenschlag kam er, setzte sich. Er bewegte sich mit der Gewissheit eines Mondsüchtigen hin und her, in der Art einer Alge, die von Strömen bewegt wird. Ich wusste seit einiger Zeit schon nicht mehr, was mit mir los war. Der Lehrer Yechezkiel trat näher. Er stand vor meinem Pult: "Neïma Sasson, wir sind nach dem Glockenschlag in der Klasse. nach dem Unterricht." sagte er und ging zurück. "Lehrer Yechezkiel", sagte ich laut. Erniedrigte mich zum millionsten Mal. Doch zum ersten Mal nach Wochen (wage ich es): "ich wollte dir erzählen. Gestern ist mir etwas seltsames passiert."

Mit dem Ellbogen auf der Fensterbank, die andere Hand umfasste die befreundete Schulter. Der Lehrer Yechezkiel blieb aufrecht, als spähe er in den Fensterrahmen oder in das entblösste System des elektrischen Stroms, das in der Farbe der Wand gemalt war. Oder in die Berge, hügeliger Nebel zur Abendzeit, wie lebendige Zeichen einer Meeresflut, die auf dem Himmel übereinander geformt waren; und ein ferner Weg stieg gewunden im Nebel auf, als stiege er durch die Zukunft.

Doch der Hauswart Elfendari kam und fragte (nach den) Schlüsseln. Der Lehrer Yechezkiel hörte nicht weiter zu, was mir Tags zuvor passiert war. Der Lehrer Yechezkiel kehrte nicht zurück. Dort, bei seinem Pult sank er in den Froschsitz: das hellblaue Hemd spannte sich über seinen Rücken, den Gürtel war am Aufreissen, legte er ein gefaltetes Stück Papier unter einen der Füsse seines Pults, um es stabilisieren zu versuchen. Doch aus irgend einem Grund, so jung, so stark, zerquetschte seine Erscheinung mich von Neuem. Das lebende Jungtier, das ich war, trug ich lange Tage in meinem Herzen, und seine Nägel in meinem Fleisch, Sehnsucht zu kratzen, und er zog die Zügel.

Der letzte Versuch: ich stellte mich neben ihn. Der Lehrer Yechezkiel untersuchte weiter unbekümmert die Stabilität seines Pultes. Wanke, als wärst du ein Vogel. Trotzdem: "Gestern ging ich durch die Strasse", sagte ich und suchte mit meinen Lippen den Nacken der mit Nichtigkeiten beschäftigten Gestalt. Der Lehrer Yechezkiel legte seine Hand auf die Platte seines Pultes, richtete sich auf und stand ausdruckslos da. Doch die Tamarisken hatten einen leeren, süssen Geschmack: "Ich strich durch die Strasse", fuhr ich fort, und ohne Ermutigung wusste ich nicht wie, "eine vernachlässigte Frau mit rasiertem Kopf, dessen Haar zu wachsen begann, Lumpenkleid, und ihre Lippen waren sehr angeschwollen, versuchte mit zwei Kindern zu reden, die sich vor ihr fürchteten. "ich bin verrückt', sagte sie ihnen wie eine Offenbarung. 'Auch sie ist verrückt', zeigte sie zu mir, und ich wurde vom Schrecken überwältigt. Ich fragte mich, wie sie es wissen (konnte). Wirklich, ich fragte dich insgeheim. Denn es war die Dringlichkeit, das Gefühl, dass dies weiterführen würde, direkt zu etwas, das die Ordnung zerstören würde", genauso wie ich existiere, bloss damit du mich siehst, aber du willst mich nicht sehen, wollte ich sagen, doch ich sagte es nicht, "oder mir scheint alles (so)." - "Es scheint, was scheint (so), kleines Mädchen." - "Du fragst, was scheint. Ein Zeichen, dass es nur scheint", meine Kräfte verliessen mich.

So wollte ich das Schuljahr beenden: der Lehrer Yechezkiel fasste an die Seitenwände seines Pultes, sein Gesicht war das eines Feindes, "ich frage, was scheint, um zu flüchten. Es scheint nicht", sagte er, und ich betrachtete ihn wie vom Donner gerührt.

Von jenem Tag an benahm sich der Lehrer Yechezkiel, als wäre mein Platz in der Klasse leer. Es fiel mir nicht im Traum ein, ihm vom Gedicht 'mein werter Lehrer' zu erzählen. Doch da geschah etwas Eine andere Stunde, und ich sass verlassen an meinem Platz allein in der hintersten Bank. "Rav Sa'adia Ga'on war ein strenger Mann. Und sein Leben war nicht leicht", sagte dort der Lehrer Yechezkiel. Ich versuchte, mit Nullaufwand die Züge seines Gesichtes zu skizzieren, die Ohren, die wie am falschen Platz angeklebt waren, seine hellen, schönen und grünen Augen mit dem dunklen Ring um die Pupille. Ich versuchte sie genau zu treffen. Es gelang nicht, ich verzweifelte und gab auf. Aber damit es keinen Platz für Irrtümer geben werde, schrieb ich oben auf das Blatt 'der Lehrer Yechezkiel', und ich bemerkte nicht, als die Stunde zuende ging. Ich bemerkte nicht, dass sich der Lehrer Yechezkiel neben mich stellte: "Neïma Sasson. Wir sind nach dem Glockenschlag in der Klasse. nach dem Unterricht."

Tagelang hatte er nicht mit mir gesprochen. Und jetzt, sprach er ruhig, lehnte sich an meine Stuhllehne und an mein Pult, ein wenig gebeugt, blickte in mein Heft. Schnell legte ich meine Hände auf die von mit angefertigten Skizzen. Doch der Lehrer Yechezkiel streckte geradewegs seine Hand aus und nahm das Heft auf, und meine Hände fielen kraftlos hinab. Und dann, völlig durcheinander, nur weil ich durcheinander war - ohne zu wissen wieso, sagte ich: "Ich habe ein Gedicht an die Schulhauszeitung geschickt."

Der Lehrer Yechezkiel äugte weiter auf die Skizzen, fragte desinteressiert an sich selbst: "nahmen sie es an?" - "Das Gedicht hat Herrn Havdala gefallen. Auch die Rektorin hielt mich an und lobte es. Aber mein Lehrer, das ist nicht mein Verdienst, es war ein einzigartiges Thema. Das Gedicht heisst 'mein werter Lehrer'." Sofort legte der Lehrer Yechezkiel mein Heft hin. Er ging zu seinem Pult, um seine Blätter, Bücher und Tagesnotizen einzusammeln und hob den Kopf nicht mehr. Ich stellte mich hinter ihn und sagte flüsternd: "wenn du dazu kommst, das Gesicht zu lesen, siehst du, dass du mich falsch behandelt hast." Ich weiss nicht, ob es die flüsternde Stimme war, die sein Herz berührte. Eigentlich weiss ich nicht, was er meinte, als er sage: "Und vielleicht bist du im Irrtum." - "Wolle Gott!", flüsterte ich, bevor er seine Mappe nahm und flüchtete.

Das schwere Eisentor unseres Schulhauses. Ein Tor mit Schwelle und zwei schiefen Bögen, in jedem der Satz ins Eisen geritzt: 'denn deine Thora ist mein Vergnügen', bekränzt über einem in die Breite gezogenen Davidstern. Die Nägel in der Tür waren Blumen mit grossen Blütenblättern. Auch geritzte Stangen waren mit ihnen gehämmert. Eine Art Wandhaken in Form einer geballten Hand zum anzuklopfen. An einer der Türen - kann man das glauben - war ein Pförtchen festgemacht, und es hatte gar eine Luke mit einer Art Spielzeughenne, in der eine Henne war und darin ein Ei.

Wir standen beide tags darauf, es war ein Freitag, an der Autobushaltestelle beim Eisentor. Der Lehrer Yechezkiel wusste nicht: ich hatte ihn gehen sehen mit seinem Gang, der etwas von einem Seefahrer hatte, ich nahm meine Kräfte zusammen und plante, mit ihm hinauszugehen. Jetzt nahm das Gesicht des Lehrers Yechezkiel den Ausdruck eines Menschen an, der ungeduldig auf den Autobus wartete. Er schlug mit seiner Tasche leicht an sein Knie. Doch etwas wie eine Wolke schwebte um seine Mundwinkel. War es möglich, dass er von mir angesteckt worden war? Ich war verzaubert und mein Herz schlug so: "Herr Lehrer", sagte ich, "seit dem gestrigen Tag tue ich nichts als Unsinn mit Dir zu reden. Als gäbe es nichts, was ich bereuen müsste. Jetzt möchte ich dich etwas fragen. Etwas, nur etwas. Sag mir, du wirst mir doch die Wahrheit sagen", und ich brachte die Vermutung über die Lippen, deretwegen ich mich in den Schulstunden und auf meinem nächtlichen Lager quälte: der Lehrer Yechezkiel denkt bereits nicht mehr an mich, der Lehrer Yechezkiel denkt an Batseva. Er sorgt so schön für sie. (Batseva, schwarz wie der Teufel. Eine Nichtigkeit. Und ich wollte jetzt ja gar nicht über Batseva sprechen.) Der Lehrer Yechezkiel war entsetzt. "Etwas neues. Batseva Hayon? Weshalb ausgerechnet Batseva Hayon? Was für eine Überraschung. Als ob die Sache nicht ohne das kompliziert wären. Keine spezielle Beziehung. Nicht gegenüber Batseva Hayon und nicht gegenüber irgend jemand anderem. Dass es klar ist. keine spezielle Beziehung, auch nicht gegenüber irgend jemand anderem." - "Weshalb Batseva Hayon. Wie es scheint, sehe ich schon Trugbilder. In den Gedanken meines Herzens.", ich seufzte und der Lehrer Yechezkiel warf mir einem raschen Blick zu. Doch ich fuhr fort: "ich habe noch ein festes Trugbild. Normalerweise weiss ich, dass du wie jeder Mensch bist. Aber manchmal scheint mir, dass du ein anderer bist. Besonders. Einzigartig. Noch eine einzige Frage. Nur eine. Lehrer Yechezkiel, sag mir, ist es möglich, dass du ein einzigartiger Mensch bist?" Die letzten Mädchen gingen an uns vorbei: "Gestern war ich im Kino. Plötzlich: ein Leopard. Er sah Jane. Jane begann: Gott mein Hüter wird mich nicht verlassen. An grünen Auen werde ich ruhen, an ruhige Wasser wirst du mich führen... plötzlich: Tarzan. Aus dem Wipfel des Baumes sprang er, ritt auf dem Leopard. Würgte. Jane legte die Hand auf den toten Leoparden und sagte: âdiesen Pelz bitte.' Tarzan sagte: âBitte. Was heisst das?' Jane sagte: âNichts. Bloss eine Floskel der Barbaren.' Tarzan sagte..."

Wie gewohnt überlegte der Lehrer Yechezkiel bevor er antwortete: "Ich denke nicht, dass ich ein einzigartiger Mensch bin. Aber jeder von uns ist für sich einzigartig. So bin ich nicht untauglich, dies zu bezeugen." Was für ein Zauber lag in jenem Moment über uns. Wie das Licht des freien Mondes, das immer kräftiger wird. Wie Geisteskälte umgab uns versöhnende Grossmut. Das Herz beruhigte sich von seinem Zorn. Dass aus dem Schweigen Freiheit8 kam. Und für einen Moment war es, als ob ich mich dem Geheimnis genähert hätte, das den Schwächling zum Helden gemacht hatte.

Ein Strassenjunge, gebannt von einem aus Schiefer geschnittenen Dreieck mit winzigen Panhörnern vom Markt, ging vorüber. Er steckte das Instrument in die Tasche, um vom Strassenrand eine Zigarettenkippe aufzuheben und sie in den Mund zu stecken. Sie verlieh ihm den Ausdruck eines Erwachsenen. Wir sahen den Autobus von weitem hier und dort auftauchen, herabsteigen und kommen. Ich sagte: "Herr Lehrer, einzigartige Beziehung oder nicht, in meinen Augen wird sie es immer sein, wie soll ich es ausdrücken, einzig, ohne seinesgleichen, wie glücklich bin ich, dass ich das Recht habe, zu wissen, dass es in der Welt etwas wie dich gibt. Ich kann das mit Worten nicht ausdrücken. Daher versuchte ich es schriftlich."

Bis zu jenem Moment wusste ich nicht, ob ich es wagen sollte, ihm mein Gedichtheft zu geben, das ich ihm gebracht hatte. Jetzt lehnte ich meine Mappe gegen eine der Türen unseres Schulhaustors, zwischen die identischen Ausrufe, die in der engen Konstellation von Zeilen wie Beispiele von Druckerbuchstaben, sämtliche Ordnungen, alle Grössen ausdrückten. Irgendwie ein Manifest der Greuel. Geschrieben, damit sie von jedem Ohr bis zum Abwinken gehört würden. Und Missbilligung: "ihr Haus ist voll von grossem Vermögen und allem Wertvollen. Doch auf ihren Rücken wird eine Maus tanzen." Ich versuchte, die Gürtelschnallen zu entwirren, doch ich schaffte es nicht: ich schämte mich, dass er (es) sähe, denn meine Finger zitterten. Der Lehrer Yechezkiel lächelte kurz und war sicher, dass ich meinen Griffel hervornehmen wolle. Er stellte seine Tasche zwischen die Schuhe und öffnete für mich meine Mappe. Gemeinschaftliche Arbeit. Wie zwei Menschen, die ein gemeinsames Interesse haben. Doch ich zog das Heft heraus, reichte es ihm und blickte ihm nicht ins Gesicht.

Ein Vater auf dem Heimweg stieg aus dem Autobus und war schockiert: sein kleiner Sprössling rannte ihm mit entblösster gefesselter, gepunkteter und mit einer kugelförmigen Schreibfeder geflickter Brust entgegen und zeigte stolz: "tätowierte Inschrift." Ich verliess den Lehrer Yechezkiel und machte mich zu Fuss auf. Die Kinder gingen wegen dem Autobus vom Bürgersteig, verliessen die Sandburgen mit Balkonen aus Streichholzschachteln, Fahnen aus Tamariskenkernen und Wegen aus im Zickzack liegenden Holzstücken. Ein Kleinkind in einer Kiste glaubte wirklich, sie sei ein Auto und seine Lippen dienten der Geschwindigkeit von Ventilatoren. Ein Schulkind rollte einen reifen (und) rannte hinterher. Eine junge Braut in langen Strümpfen, Ärmeln bis zu den Ellbogen, das Haar mit einem Kopftuch zusammengebunden und einen Korb am Arm, ging vorbei. Ihr Gesicht war Sommersprossen in Milch. Und Licht war in ihren Augen. Ein Mädchen trug auf ihrem Kopf ein grosses Tablett mit zwei Schabbesbroten und Teigarten auf dem Weg zum Ofen der Bäckerei. Sie nahm die Abkürzung, überquerte eine leeren Baustelle, nur verlassene Fundamente waren dort gebaut, ein Schild einer zu bauenden Jeshiva und Haufen von Abfall. An die Säule eines Kiosks war mit einem Reissnagel eine Zeitung geheftet und ein Mann, der Saft trank, las stehend darin. Über dem Zeitungsblatt, das über die Bitternis der Totenklage berichtete, und das Erwachen eines "GAWD"Gipfels um acht Uhr europäischer Zeit zum dreissigsten Todestag eines MuHRR an einem Strassenunfall. Ein Schild "Familieneis und Cassata im Paket nach Hause". Auf dem marmorenen Ladentisch war ein Bild einer roten Wassermelonenhälfte aufgestellt. Daneben, als exaktes Ebenbild, eine halbe Wassermelone. Hinter mir ein Gespräch: "Ich habe ihn auf der Strasse getroffen. Er hat mir gesagt: âwas soll das, schon mit unbedecktem Kopf.' Ich antwortete: âzeig mir, wo in der Thora über Kopfbedeckung geschrieben ist.' Er schrie: âlies!' Im Hof wieherten Kinder: "Die Kuhu läuft davohon", und eine weinerliche Kleinkinderstimme: "ich bin keine Kuh."

Ein Wurstwarengeschäft mit Stierenschinken, Hackfleisch, Kartoffelsalat und Borstsaft auf Schalen im vollen Kühlschrank im Schaufenster. Ein kleines Schild mit einem Pfeil, das Badehaus. Ein grosses Schild mit einem Pfeil: zur Kasse des wundertätigen Rabbi Meïr. Ein Gemüsegeschäft. Kisten davor. Spinatblätter. Ein Geruch von überreifen Bananen und darunter Vanille. Ein Geruch von gelben Melonen und reifen Guavas, schweissartig. Eine untersetzte Frau mit einem braunen Papiersack mit Birnen zählte ihr Geld, als ob sie sich in schlechter Sprache selbst Geschichten erzählte. Plötzlich lärmten Arbeiter auf dem Bürgersteig mit einem Presslufthammer. Ihre Muskeln bebten wie im Krampf. Plötzlich hörten sie auf. Ihre Schultern hoben die Last und erkannten etwas ihnen Liebes: ein AaronKodesch. "Und daher sollst du wissen. Die Grenze zwischen dem Stamm Benjamin und dem Stamm Juda ging durch die Jaffostrasse, sagte ein Leutnant eindringlich zum andern. Die KingDavidStrasse, der Anfang Rechavias, die Jaffostrasse bis zum MeNaftuach. Romema als höchster Punkt. Das UmaGebäude des Regiments des zehnten Römers Artanis. Durch das vergitterte Fenster war eine geheimnisvolle Halle sichtbar, passend zu einer Totenbrüderschaft eine Wanduhr von schwarzem Lack, mit Hebräischen Buchstaben anstelle von Zahlen und einem kupfernen Pendel.

Ein Labyrinth von Menschennestern; erste, zweite und dritte. Zum Grossteil mit Wandplatten. Mit Treppen nach draussen, aufgerichtet wie Leitern. Polierte Bratpfannen, bereit zum Trocknen auf dem Fensterbrett. Harte grüne Tomaten bereit auf dem Fensterbrett. Ein gestärkter Vorhang, zusammengehalten mit einem hellblauem Band. In der Dunkelheit des Korridors brannte das rote Auge des Boilers. Ein Türrahmen mit einem Blumentopf, wie eine hängende Schüssel, ein überquellender Wasserfall von lila Blättern. Auf dem Sofa an der Wand lag eine Frau, Medikamentgläser und ein Glas mit einem Teelöffel auf dem Radioempfänger neben ihr, die nicht gut geschlossene Tür eines Kleiderschranks und ein Mädchen, das am Tisch Aufgaben machte, steckte ihr Haar hinters Ohr. Auf einer Bank vor der Tür fütterte die grosse Schwester ein Kleinkind, das die Lippen wie ein Vogeljunges spitzte, und schon die jemenitische Synagoge im Keller: Streifenteppiche, Bänke, Kissen und ein dösender Alter, ein Stück Papier auf seiner aufgerissenen Lippe, und ein kleiner Junge unter dem flach gehämmerten und gelochten blechernen Kristallleuchter wartete mit endloser Geduld.

Und ich dachte: Nimm eine Strassen und ein wenig mehr. Kann es sein, dass sie bloss aus der Kraft des Blickes die visionäre Erwartung der blinden, nicht grösser werdenden Dinge Luft schöpfen, um aus der Kraft zur Tat zu schreiten? Ich glaube nicht. Und ich dachte: das Leben ist barmherzig. Alles in allem, ein Berg. Mit wimmelnden Juden. Wie Ameisen gehen sie ein und aus, bauen sich in den Tiefen der Erde ihre Häuser. Doch jeder einzelne weiss: in der Stadt, die vereint worden ist , in Jerusalem bin ich. Wie einzigartig. Wie wunderbar. Wie auserwählt. Am nächsten zu irgendeinem Mittelpunkt. Was für ein grosses Recht. Jeder spürt in seinem Herzen das Wunder. Doch ich, wenn ich gross bin, werde, so Gott will, das Wunder schriftlich ausdrücken können, alle Wunder. Ich muss. Sonst ist mein Leben kein Leben.

Am ersten Tag ging ich früh zur Schule.

Während ich im breiten, gewölbten Eingang beim Marmorschild stand, eine Erinnerung der Welt an die gerechte Wohltat, Frau Estella Isas, von allen Frauen im Zelt sei sie gepriesen , die dieses Haus gründete und in Gang setzte, als Denkmal für die Seele ihrer gerechten Mutter Frau Sarah, die bei einem Erdbeben in der Stadt Izmir ums Leben gekommen war... kam der Lehrer Yechezkiel vom Ende des Korridors, vom benachbarten Eingang. Doch er sah mich - und ging auf den kleinen Korridor zu. Und er erschien nicht mehr vor dem Läuten. Vielleicht hatte er dort etwas zu erledigen.

Ende des Unterrichts. Jedes Mädchen drehte schon den Stuhl aufs Pult. Alle gingen. "Herr Lehrer, wegen der Gedichte. Entschuldige, ich wusste es nicht. Am Morgen warst du so überrascht." Der Lehrer Yechezkiel drehte sich um und blickte mich schweigend an. Als zählte er im Stillen auf zehn, sagte er wie ein Schauspieler, der seine Rolle auswendig gelernt hatte: "Die Gedichte. Ich öffnete das Heft um zu lesen. Ich las ungefähr zwei Seiten, dann schlief ich ein." Er stand auf und ging.

Ich bin nicht hier, sagte ich mir. Ich bin auf dem fernen Weg, der sich dort durch die Berge schlängelt. Wie ein grauer Teich in der Farbe von Olivenblättern, Felsen am Wegrand. Felsenartige Spalten im Baumstamm. Olivenbäume: schmale Landstreifen am Fusse des Berges, schmale Furchen in gepflügten Reihen krummer Linien. Niedrige Mauern von gebündelten Steinen. Schwere Grappen von aufgedunsenen schwarzen Trauben im Schosse ausgebreiteter und mit Draht befestiger smaragdgrüner Blätter. Ein Maulbeerbaum. Dunkle Zypressen. Und schon ist Herbst. Die Luft ist feucht, sie glänzt. Die Dinge haben einen silbernen Glanz. Am Horizont steht eine Reihe alter Kiefern. Wild, zum Teil gebückt. Ihre Landschaft berührt den Himmel. In mehr und mehr Tälern gepflügte Felder: ich werde das Getreide nicht reifen sehen. Ich werde nicht auf diesem Weg zurückkehren, werde Jerusalem nicht mehr sehen. Der Weg schlängelt sich immer mehr. Und schon ist der Himmel grau und mit zerrissenen Tüchern von Rot und sehr dunklem Grau durchzogen. Als stände ich auf einer Rolltreppe und führe der Stadt entgegen. Am Ende der Strasse ereignete sich der Sonnenuntergang. Menschen gingen hierher, Menschen kamen von dort. Als ob sie von einem Grossbrand kämen. Ich wurde dem Strassenrand entlang gestossen, die Hand auf dem Herzen. Wie eine Frau, die ihr Kind verloren hat. Im Übergang leuchtete der ganze Himmel: er goss den Widerschein von Blut auf die Erde. Den letzten Glanz des Tages. Lange Zeit komprimierter Glanz. Verwundet und verletzt stachen Nadelreihen von Strassenlaternen den Rotschwanzglanz, die Ordnung weitläufiger Reihen, wie eine sich windende Schlange von Licht. Bis zehn blieben nichts als Wolkenpferde, die auf Zweien vor dem orangen Horizont galoppierten. Schon waren die Gesichter der Menschen eingehüllt in verschnürte Lumpen, die sie vor den sehenden Augen beschützten. Und schon war kein Mensch mehr. Der Weg führte zum Regen, zum Hagel. Nur Dunkelheitspferde, Todesschattenpferde, Dämmerungspferde, Hagelpferde, Eisenpferde, Nebelpferde. Der Weg führte durch den Winter. Trat hinaus und erreichte die Brücken. Mittag. Und Flammenblumen wurden zwischen den Brücken grösser und grösser, mit stark fliegendem Rauch von Kohlestaub, die Hände über den Augen.

Durch Zufall, kann es wirklich Zufall sein, Zerstreutheit, kann es wirklich Zerstreutheit sein. Dort sass der Lehrer Yechezkiel ass sein Sandwich. Ein Teil seiner Haare war seit dem Morgen auf die unrichtige Seite gerutscht, als hätte er sich als einer der ersten Pioniere Amerikas verkleidet. Und ganz frisch, unvorhergesehen, Herzkneifen, schöner Wangenknochen, als formten sie sich von neuem.

Ein Mädchen ging zu ihm mit ihrem Buch. Sie rief aus: "Hier, das verstehen wir nicht." Er nahm ein Bleistift. Zeigte auf einen Abschnitt davor. "Dies versteht ihr? Lies, wenn du das verstehst." Die Geduld, die Distanz, die ich unmöglich durchbrechen konnte. Abgesondert von allen, gehorchte ich nur der rätselhaften, unklaren Anweisungen, als ob in mir der Geist erwachte, um Kräfte zu schöpfen und ihm zu sagen, rot und arbeitend, vor langen Zeiten: "Herr Lehrer, richte deiner Frisörin von mir aus, dass es ihr nächstes Mal besser gelingen solle," und er legte seine Hand verlegen auf den geschorenen Nacken und lächelte leicht. Vor Urzeiten, als er noch reden konnte, ging er durch die Bänke und sah das hohe Schloss, das ich an die Ränder des Heftes gezeichnet hatte. "In guter Umgebung. Drei Luxuszimmer. Angenehme Zahlungsbedingungen."

Ich hörte auf, Pflaumenkerne wegzuwerfen. Ich kehrte an meinen Platz zurück. Vom Fenster her kam die Stimme von kleinen Mädchen, die zählten und Seil sprangen. Batseva kam in die Klasse, tuschelte mit den Mädchen. Mein Herz schmolz: meine Gedichte. Gesichtszüge von Kastanien, Aprikose und Pfirsich staunten, untersuchten, mörderisch. Jetzt fiel mir ein: auch die Schulleiterin hatte voller Mitleid über mich gesprochen, wie zu einer Kranken. Und heute Morgen stand sie beim Lehrer Yechezkiel, als ich vor ihnen vorbeiging, und schaute mich und den Lehrer Yechezkiel an, mich und den Lehrer Yechezkiel. Nur Herr Havdala war farbenblind. Ich faltete meine Serviette. "Nein, ein Wermutbaum ist nicht ein Baum mit Maden", antwortete dort der Lehrer Yechezkiel mit angenehmer Stimme verglich er, "es ist ein Mahagonibaum. Ein Mahagonibaum? Von rotem Holz. Warum ausgerechnet ein Wermutbaum? Ich weiss nicht. Er ist ein Dichter. Er schreibt, was er will." Und dann: "für uns ist nur der Gedanke wichtig."

Im Korridor ging ich am guten Herr Havdala vorbei. Herr Havdala legte seine Hand auf meinen Kopf. "Wir müssen es einsenden, wir werden, falls möglich, das Gedicht an die Zeitung âSchofarstimme' senden." und zu jemandem über meine Schulter hinweg schwatzend, sagte er stolz: "das ganze Lehrerzimmer spricht: unsere Neïma Sasson wird Dichterin." Jetzt sah ich, wer es war, der hinter meine Schulter kam: der Lehrer Yechezkiel war es. Der Lehrer Yechezkiel antwortete nicht, ging vorbei und verschwand.

Weil mich Herr Havdala in Ruhe liess, eilte ich ihm hinterher: "Herr Lehrer, ich möchte mit dir sprechen." Der Lehrer Yechezkiel schüttelte den Kopf. Und während er (weg) schritt, lachte er und sagte stürmisch mit ungewohnter Handbewegung: "Was für ein Morgen, ohne seinesgleichen", er lachte hüstelnd. "Was ist das wichtig, Herr Lehrer", flehte ich, "schau, jetzt, wo du gestikulierend gelacht hast, kenne ich dich nicht. Du bist wie Batseva und die Mädchen, wie ein Mann, dem man ein Bild zeigte, das eine Venusstatue zeigte, der lachend mit dem Finger wies: schaut, Venus ohne Kleider. Auch das ist nicht wichtig. Ich hab dir erzählt, Herr Havdala, die Schulleiterin, sie sprachen Gutes über das Gedicht. Doch das ist nicht wichtig. Es war nett zu hören. Doch ich, nur deine Meinung möchte ich hören. Denn ihr Gegenteil kommt von ihrem Licht. Doch ich frage nicht.

"Neïma Sasson, du bist ein zu kluges Mädchen für mich." Jetzt hielt er an, wie aus Kalkstein gehauen, wie eine Salzsäule, mit weissen Lippen, auf denen die Antwort lag: "Klugheit ist eine gute Eigenschaft. Doch nur eine guten Eigenschaften. Und keine der wichtigsten. Zweitens: Man kann nicht immer voraussagen, auch du nicht, wann und weshalb ein Mensch lacht. Ausserdem drängst du mich, ich über etwas zu sprechen. Du siehst, dass ich nicht kann. Ich kann nicht." Und hier rebellierte er: "und ich will nicht."

Gequält gedemütigt, an meine Ehre dachte niemand: "Warum?" - "Weil man das nicht tut", schloss er. Er kniff seinen Mund zusammen. Ein schwieriger Mann. Von ausserordentlichem Zartgefühl. Ein schwieriger Mann. Nicht einmal in der Hölle verbranntest du. "Schön", wurde ich zu meinem Erstaunen über das Lehrerzimmer belehrt, "du kannst gehen. Du bist entlassen."

"Ich gehe in diese Richtung", sagte er leise und wies zornig in die andere Richtung. Ich wich nicht von der Stelle. Der Lehrer Yechezkiel ging. Doch er blieb er stehen, wandte den Kopf, warf mir einen zähneknirschenden Blick zu, und ging weiter. "Herr Lehrer", ich eilte ihm wieder hinterher, "Gepflügt dringt von ihrem Licht durch die Erdschollen / und die Schollen wissen nicht, was in ihnen steckt. Hu, Herr Lehrer!"

Ich wusste nicht, ob er zuhörte. Denn noch während ich sprach, wandte er sich mir zu. "Heute ist es die Schule. Morgen das Leben. Hör und denk daran: es gibt eine Grenze. Nicht jeder Mensch kann tun, was er für richtig befindet, Neïma Sasson ist eins, Yechezkiel da Silva etwas anderes, sie passen sich bitteschön dem Gesetz an. So ist das bei uns. Und aus unserem guten Willen." Er beschleunigte seine Schritte.

Hu, kochte das Herz in mir. Hu, sagte ich zu mir, wenn er mir das Heft zurückgeben würde, würde ich sagen: "siehst du den Abfalleimer dort drüben? Wirf sie dorthin." Hu, wolle Gott, ich schrieb die Gedichte nicht, sagte ich zu mir selbst, durch meine Tränen, die ich nicht zurückhalten konnte. Der Name der Theateranzeige, einst am Anschlagbrett, stieg in Erinnerung: Zähmung der Widerspenstigen. Und ein Plattenalbum im Schaufenster, gemalt war eine über und über mit Blumen geschmückte Peitsche. Auf einmal packte mich der Schrecken plötzlicher Eingabe - als ob ich am Haarschopf gepackt und in eine andere Richtung gezogen würde - und schon wurde ich auf meinen Augen gelenkt Lichtstrahlen: es ist ausgesprochen. Das Geheimnis, das den Schwachen zum Helden macht. Ja, ich wusste. Die ganze Zeit wusste ich, immer wusste ich. Und wie hatte ich nicht gewusst, dass ich gewusst hatte.

Und der Herr antwortete Hiob stürmisch - wo warst du bei der Gründung des Landes, sag - und wer hat die Grösse bestimmt, damit du weisst - und aus zwei Türen brach Wasser hervor - Wolken bekleideten und Wolken umhüllten ihn. Ich werde meine Gesetze über ihm brechen und Gestank über die beiden Türen legen. Und er sagte, bis hierher wirst du kommen. Und hier wird Stolz deine Welle treiben was für ein Weg, auf dem Licht und Dunkelheit herrschen. Was für ein Ort - und aus seinem guten Willen. Mit Flugangst. Damit ich sie beherrschte, war das Licht, das einst hervorgebrochen war, weich wie das klare Mondlicht, wurde immer stärker, und schliesslich stark bis zur Blendung. Mitten auf dem Weg stand der Lehrer Yechezkiel still. Drehte sich auf dem Absatz um. Kehrte zu mir zurück. Was für Fäden waren das, die uns die ganze Zeit tanzen liessen: er ging. Ich eilte. Ging weiter. Hielt an. Ging weiter. Ich bewegte mich nicht. Ich ging schnell. Er hielt an. Ging. Ich stand still. Er geht. Drehte um seine Achse. Kehrte zurück. Was für eine Flöte war das, die uns tanzen liess. Jetzt stand er still und wusste nicht, was er sagen sollte. Auch ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wischte die Augen mit der Faust. Der Lehrer Yechezkiel blickte auf mein neues Kleid. "Du bist dünn geworden, Neïma Sasson, du bist dünn geworden", bemerkte er schliesslich nuschelnd, wandte sich zum Lehrerzimmer und sein Gesicht gehörte ihm nicht mehr. Ich stand da und sah: er trat ein, setzte sich zum grossen Tisch mit der Obstdecke. Er setzte sich allein, entfernt, unter das Ölgemälde an der Wand, der nett aussehende Baum, unter dessen Wurzeln filmartig eine Rolle gezeichnet war: "ein Lebensbaum ist er denjenigen, die an ihm festhalten". Jemand erzählte etwas. Jemand sagte: "Ich werde Klartext reden." Bücher im Schrank, der mit einem Netz verschlossen war, das Werk grosser Denker: 'Herzensfreundschaft', 'Buch der wichtigsten Dinge', 'Verbesserung der psychischen Eigenschaften', 'Lebensprüfung'. Ob wohl jemand in ihnen liest. Alleine sitzend, spielte der Lehrer Yechezkiel gedankenverloren mit dem grossen, viereckigen Porzellanaschenbechen, jener, in den in Blau das Signet und die Adresse âPalasHotel' eingeprägt waren. Sass wie einer, den ein schwerer Schlag schliesslich auf den Schädel getroffen hatte. In seinem Haar, das auf der falschen Seite klebte, war jetzt Quell von ein bisschen VerspottetWerden. Elfendari kam und brachte auch ihm eine Tasse türkischen Kaffee. Er schlief unter den Wachen, war wach unter den Schläfern, der Lehrer Yechezkiel bewegte seine Lippen ohne aufzublicken zu Elfendari hin, reichte ihm sein Tässchen. Doch seine Hand nahm er nicht vom Aschenbecher, liess ihn nicht los. Bitte nicht, mein werter Lehrer. Bitte nicht. Gross ist alles, was sich bewegt, was hängt und daran ist, sich zu ereignen, alles, was sich ereignet: siehe, es hängt und steht, siehe, es fällt hierhin oder dorthin. Wie fällt es. Moment der Geburt. Was wurde geboren. Wenn der ganze Himmel ein Zelttuch ist und die ganze Welt ein Labyrinth, können alle Schilfrohrwälder nicht niederschreiben, was ich von meinen Lehrern gelernt habe. "Albert!", rief die Schulleiterin den Lehrer Albert, dann wandte sie sich um und schaute zur Tür. Ich entfernte mich schnell, damit sie mich nicht sehe. Doch die Flöte liess (uns) noch tanzen. Die Seele ging hinaus, um die Bedeutung der Musik zu verstehen. Mein Angelhaken an deiner Nase. Meine Bazille auf deinen Lippen, und noch ist die Seele dazu verdammt, herauszugehen.

Das Heft gab er mir nicht zurück. Ich weiss nicht, was aus ihm geworden ist. Vielleicht verbrannte er es. Ich kaufte ein neues Heft.

Am Abend zog ich den Stuhl zum Eisentisch auf dem Balkon. Ein neuer Mond ging auf. Jerusalem schlummerte. Nur in mir tanzten heilende Geschöpfe. Vögel drehten sich, flogen ihre Runden - ein lebendes Bild nach dem andern entstand und verging - lautlos, nur Bewegung und Gebärde erhoben sie ihre Seele: den Druck, die Blindheit und den rührenden Glanz, Odem des fliessenden, lebenden Momentes, als Rettung, als Flucht. Als Wachposten. Bevor sich alles zurückzog, wurde er vom Licht in den Schatten gezogen.

Wir lernten, eine Geige hing über Davids Bett, damit sie, wenn der Nordwind um Mitternacht blies, von allein spielte. Und David stand da und beschäftigte sich mit der Tora, bis die Säule des Morgenrots aufging. Doch ich schreibe mit zitternder Feder und bestürke, schreibe und lösche wieder aus: "Unser Lehrer, Herr Havdala, sagte unter anderem..."


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